Buch-Kritik zu Alte weiße Männer: Ein Schlichtungsversuch

Vorschaubild zur Buchkritik von Sophie Passmann: Alte weiße Männer: Ein Schlichtungsversuch

Aufmerksam geworden bin ich auf die Autorin dieses Buches, Sophie Passmann, durch zwei Zufälle. Nach der Europawahl war sie als Talkshow-Gast zu Maybrit Illner (läuft am 13.09.19 ab) eingeladen. Dort hat sie keinen sonderlich sympathischen Eindruck auf mich gemacht. Dann hat sie es aber, wie der eine oder die andere vorher schon, im Podcast Alles gesagt? von ZEITmagazin und ZEIT Online geschafft, mich eines Besseren zu belehren. Ich habe mich intensiver mit ihrer Arbeit auseinandergesetzt. Aktuell gibt es meines Wissens nach zwei Bücher von ihr, einmal den Erstband Monologe angehender Psychopathen oder Von Pudeln und Panzern (Hirnkost). Hierbei handelt es sich (ich habe es erst zur Hälfte gelesen) um einen Sammelband ihrer Werke aus diversen Poetry Slams. Zum anderen aber auch das Buch, um das es hier gehen soll: Alte weiße Männer: Ein Schlichtungsversuch. Meine Recherche hat außerdem ergeben, dass im Oktober dieses Jahres auch noch Sophie Passmann über Frank Ocean als Teil einer Musikbibliothek erscheint.

Das Konzept: Alte weiße Männer

Wir Männer haben ein Problem – wir alle sind, das ist spätestens seit Lektüre des Buches klar, gefangen in unserem Mann-Sein. Das ist erstmal nicht schlimm, allerdings ein unumstößlicher Fakt. Egal, wie feministisch wir uns betrachten, wie sehr wir unseren Einfluss in diese Richtung hin entwickeln, wie sehr wir auf das Thema hinweisen: An diese Position, in diese Rolle gekommen sind wir durch ein System, das im Prinzip seit der Steinzeit Frauen strukturell benachteiligt. Das sage und meine ich völlig ironiefrei.

Haben wir das erstmal akzeptiert, können wir weitermachen. Dass Frauen strukturell benachteiligt sind, wusste ich bereits vor Lektüre des Buches. Was das wiederum für die Männer bedeutet, war mir erst danach klar. Akzeptieren wir diese Erkenntnis nicht – so einfach lässt sich das Konzept des alten weißen Mannes fast herunter brechen – sind wir genau das: Alte, weiße Männer. Dabei geht es nicht darum, alt und weiß zu sein, in der Begriffsradikalität nicht mal zwingend um das Mannsein.

Diese Begrifflichkeit des alten weißen Mannes hat ihre Herkunft im Prinzip nur aus der verblüffenden Häufung der oben beschrieben Mindestvoraussetzung bei Männern, die auch noch die Eigenschaften eines höheren Alters und weißer Hautfarbe auf sich vereinen. Praktische Beispiele hierfür sind Wolfgang Kubicki, Rainer Brüderle, aber auch Donald Trump, Harvey Weinstein und zahllose andere. Wichtig dabei: ein alter weißer Mann bin ich nicht nur, sondern auch, wenn man(n) sich sexuell übergriffig verhält und eine juristisch nicht vorhandene Vormachtstellung ausnutzt. Das entlastet einige oben genannte auf der einen Seite, entlässt andere Vertreter allerdings nicht aus der Tatsache, ein alter weißer Mann zu sein. Dass die Männer hier teilweise anderer Auffassung sind bzw. auch inhaltlich anders differenzieren wollen und müssen, Macht aber immer eine wichtige Rolle spielt, zeigen die beiden Statements von Peter Tauber und Kevin Kühnert:

Die Wut, mit der man dem Wandel begegnet, ist das Entscheidende.

Peter Tauber in Sophie Passmann in Alte weiße Männer: Ein Schlichtungsversuch

Ich habe den Eindruck, dass es manchen leichter fällt, auf der Jobebene eine Form von Gleichberechtigung herzustellen, weil es da klare Spielregeln gibt. So ein informeller Rahmen, wo man das sehr zwischenmenschlich aushandeln muss, fällt da aber raus.«

Kevin Kühnert in Sophie Passmann in Alte weiße Männer: Ein Schlichtungsversuch

Nach Lektüre des Buches bin ich im Übrigen zu dem Schluss gekommen, dass es nicht möglich ist, männlich und gleichzeitig nicht wenigstens in Teilen ein alter, weißer Mann zu sein. Der Status Quo und allein der Gedanke, sich darauf zu konzentrieren, im Sinne einer Gleichbehandlung zu handeln – sei es im Privaten die gleichmäßige Verteilung von Aufgaben oder beruflich die Förderung und Forderung von Kolleginnen – macht deutlich, dass wir in einem von Männern gestalteten Narrativ gefangen sind. Das ist bitter und für den ein oder anderen nicht nachzuvollziehen – in dem Moment aber, wo ich das Argument liefere: „Sollen die sich doch einfach anstrengen“, mache ich deutlich, die Grundthese schon nicht verstanden zu haben.

Das Konzept des Buches: Viele Interviews

Kommen wir nun zum Buch. Sophie Passmann führt für dieses Buch Interviews mit verschiedenen Männern. Sie baut ihre Kapitel nach diesen Interviews auf; dabei wird nicht immer deutlich, ob die Interviews in chronologischer Reihenfolge angeordnet sind. In der Regel besteht ein Kapitel aus einer Begründung der Auswahl genau jener Person, in der Frau Passmann unter anderem ihre eigene Befangenheit der gegenüberliegenden Person deutlich macht. Die Befangenheit ist immer vorhanden und gleitet sowohl ins Negative (Vorurteile etwa gegenüber den Chefredakteuren aus dem Axel Springer-Verlag) wie auch ins Positive (unter anderem einer Vorab-Verklärung etwa von Claus von Wagner) ab. Nach der Begründung der Auswahl des Gesprächspartners geht es um das Setting des Gesprächs. In der Regel hält sie dabei ihre Erwartung gegen die tatsächlich erlebten Ereignisse, wodurch sich teilweise, in der Regel allerdings nur zwischen Zeilen, eine erste Einschätzung gegenüber dem Interviewpartner ableiten lässt.

Im Anschluss dann geht’s in das Gespräch. Hierbei handelt es sich um einen Stil, der zumindest bei mir zwei Kapitel Eingewöhnungszeit bedurfte. Abwechselnd Aussagen paraphrasierend und gleich (hart) bewertend, Ausflüge in die Ursache und Wahrnehmung gewisser Verhaltensweisend unternehmend und klassisch Fragen stellend (nicht erkennbar als sie selbst) und wörtliche Zitate als Antworten bringend, entwickeln sich die Kapitel so zu einem Einblick in die Gedankenwelt beim Schreiben. Der Schreibstil beeinflusst dabei meiner Wahrnehmung nach nicht die analytische Schärfte und die aufklärerischen Inhalte. Mir persönlich hat er jedoch zu Beginn nicht leicht gemacht, 100 Prozent der Inhalte und der tiefergehenden Botschaften zu verstehen.

Die Gesprächspartner von Sophie Passmann

Mit folgenden Männern hat Sophie Passmann in ihrem Buch über die alten, weißen Männer gesprochen:

  • Christoph Amend, Chefredakteur vom ZEITmagazin & Herausgeber der Weltkunst,
  • Micky Beisenherz, Radio- und TV-Moderator (unter anderem vom neuen Format ARTIKEL 5), bekannt geworden als Autor für das Dschungelcamp,
  • Kai Diekmann, ehemaliger BILD-Chefredakteur, mittlerweile Agentur-Inhaber,
  • Robert Habeck, Autor, einer von zwei Bundesvorsitzenden der Partien Bündnis 90/Die Grünen
  • Carl Jakob Haupt, im April dieses Jahres mit 34 Jahren an einer Krebserkrankung gestorben, war Blogger/Autor, Künstler und eine Ausnahmeerscheinung in der Modewelt,
  • Kevin Kühnert, Bundesvorsitzender Jusos,
  • Rainer Langhans, bekannt vor allen Dingen durch seine Mitgliedschaft in der Kommune I
  • Sascha Lobo, digitaler Welterklärer, Journalist und Blogger,
  • Herrn Passmann, hier in seiner Rolle als Vater der Autorin,
  • Ulf Poschardt, Chefredakteur bei Die Welt und Welt am Sonntag
  • Tim Raue, erfolgreicher Sternkoch aus Berlin,
  • Marcel Reif, Sportjournalist und -kommentator,
  • Peter Tauber, ehem. Generalsekretär der CDU, mittlerweile Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium der Verteidigung
  • Jörg Thadeusz, Journalist, Radio- und TV-Moderator, Schriftsteller und
  • Claus von Wagner, Kabarettist, unter anderen in der Anstalt und der heute show

Die Quintessenz: Leseempfehlung mit Erkenntnisgewinn

Den teilweise zu bissigen, aber wohl unumgänglichen Kommentarstil von Sophie Passmann habe ich schnell zu schätzen gelernt. Ein kleines Beispiel aus dem Gespräch mit Marcel Reif möchte den Blogleser*innen nicht vorenthalten:

Er macht eine wegwerfende Handbewegung in Richtung Wasser, als solle man die alten weißen Männer im Zürichsee ertränken. Ich hätte den Vorschlag so nie gemacht.

Aus dem Gespräch mit Marcel Reif in Sophie Passmann in Alte weiße Männer: Ein Schlichtungsversuch

Spannend wäre zu erfahren, wie oft sie ihre Gedanken erst später im Buch formuliert hat, wie oft sie diese Gedanken ausgesprochen und wie lange die Entstehung der kommentierenden Gedanken gebraucht hat. Ein Krankheit heutiger Kommunikation ist ja leider, Schlagfertigkeit durch verzögerte Antworten (in sozialen Medien, in Chats, …) simulieren zu können ohne wirklich schlagfertig zu sein. Vieles aus der Historie von Sophie Passmann spricht jedoch dafür, dass sie Gedanken schnell gedacht und dem Gesprächspartner gegenüber ausformuliert hat. Sie tut das, den Vorwurf muss sie sich nach der Erkenntnisformulierung aus dem Gespräch mit Christoph Amend, gefallen lassen, ohne Rücksicht auf die in ihrem Mannsein gefangenen Männer-Argumentationen. Die oben durch mich zusammengefasste Haupterkenntnis den Gesprächspartnern als Forschungshypothese vorzulegen, wäre möglicherweise zielführender (und enttarnender) gewesen als über die Frage ins Gespräch zu kommen, ob man denn nun ein alter weißer Mann sei.

Das tut allerdings dem Erkenntnisgewinn des*der Lesers*in keinen Abbruch. Wie tief verwurzelt und strukturell die Benachteiligung der Frauen aufgrund der Willkürlichkeit eines Geschlechts ist, erscheint schockierend. Auch Frau Passmann selbst kommt zu dieser Erkenntnis:

[…] gefunden habe ich vor allem die Einsicht, dass der Feminismus auch heute noch viel unbeliebter und deswegen noch wichtiger ist, als ich dachte.

Sophie Passmann in Alte weiße Männer: Ein Schlichtungsversuch

Gleichzeitig macht es für mich deutlich, dass es zwar zahlreiche Instrumente gibt, die den Prozess der Gleichbehandlung begleiten können – Frauenquote, bewusste Förderprogramme – und dass meiner Einschätzung nach die aktuelle Generation junger Männer und Frauen nochmals einen ganzen Schritt weiter ist. Wichtiger ist aber, dass es Frauen wie Sophie Passmann geben muss, die das Thema Feminismus – den Begriff halte ich übrigens für einen Teil des Akzeptanzproblems seitens der Männer, suggeriert er doch weniger Gleichberechtigung beider Geschlechter, sondern Bevorzugung des weiblichen Geschlechts, was ironischerweise, für Frauen jedoch nachvollziehbar zu einer Ablehnungshaltung führen muss – regelmäßig, unbequem und laut in die Öffentlichkeit kommunizieren.

Wir als geschlechtsunabhängige Gesellschaft müssen dankbar sein für Menschen, die hier in Vorleistung für uns alle treten und könnten zumindest damit anfangen, Alltags-Sexismus anzusprechen und auf Probleme in der Gleichberechtigung hinzuweisen.

Eine gute Bekannte von mir hat die Tragik feministischer Texte und Führungspersönlichkeiten mal so beschrieben:

Das Problem ist, dass solche Texte und Themen nur von feministisch orientieren Menschen rezipiert werden. Deswegen halte ich auch Veranstaltungen explizit für Frauen und zur reinen Vernetzung der Frauen für wenig zielführend.

Hieran wird das Buch, vielleicht nicht kommerziell, aber eben in Bezug auf das gewünschte Ergebnis möglicherweise scheitern. Hoffen wir für uns alle, dass dem nicht so ist.

Copyright für Cover: Fabiola Peñalba auf Unsplash

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David Lucas, Jahrgang 1991, liebt Podcasts, Kochen und gutes Essen. Er interessiert sich für Politik, Digitalisierung und Technologie. In seiner Freizeit verbringt er viel Zeit mit seiner Familie  und dem Hund.

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